„Schneewittchen losgelöst“ knistert vor der elektrischen Spannung der Selbstbefreiung, seine zerbrochene Märchenikonografie wird als Manifest der Grenzsetzung neu interpretiert. Edinger-Strasser setzt Kindheitsnostalgie als Waffe ein – die zuckersüßen Rosa- und Märchenbuch-Blautöne der Disney-Unschuld vibrieren nun wie Alarmglocken gegen Grautöne. Im Spiegelbild tritt eine zentrale Figur hervor: nicht die zurückhaltende Prinzessin aus der Überlieferung, sondern ein Gesicht, weniger Portrait sondern farbiger Phönix, der aus den Spiegelscherben der bösen Königin emporsteigt.
Beachten Sie, wie die „toxischen“ Elemente das Werk nicht nur umrahmen, sondern aktiv zurückgewiesen werden: Die Kohleschmierflecken der Krone der Königin zerfallen unter türkisfarbenen Pinselstrichen, die sich mit der Dringlichkeit zuschlagender Türen bewegen.
Fragmente der Geschichte spuken an den Rändern – als toxisches Element der Apfel, die Zerlegung der Worte. Das Geniale an diesem Werk ist, dass es Loslösung nicht als passiven Vorgang darstellt, sondern als etwas Dynamisches.
Indem sie Schneewittchens Reise als chromatischen Aufstand neu interpretiert, argumentiert Edinger-Strasser, dass wahre Selbsterhaltung sowohl Zerstörung als auch Schöpfung erfordert. Das Gemälde vibriert vor der unbequemen Wahrheit, dass Befreiung oft bedeutet, nicht nur Bösewichte zu überwinden, sondern auch die Versionen von uns selbst, die mit ihnen koexistierten. Wer es wagt, genau hinzuschauen, erkennt vielleicht sein Spiegelbild in dem kobaltblauen Streifen in der Mitte des Werks – ein Blitz der Handlungsfähigkeit, der beweist, dass es manchmal bedeutet, seine Geschichte neu zu schreiben, um sie für sich zu beanspruchen.
